Catfish-Divers

Allgemein => Reiseberichte;Berichte zu euren Urlaubsreisen (auch ohne Tauchen) => Thema gestartet von: Nessie am 17. Mai 2016, 00:17:49

Titel: Minus 178 Meter
Beitrag von: Nessie am 17. Mai 2016, 00:17:49
Die Katzenfische, die mich kennen werden ahnen, dass dieser Beitrag nicht vom einem neuen Rekordversuch im Freitauchen handeln wird.
Dieser Bericht von der Dunklen Seite handelt von unserer letzten Mission in der Riesenhöhle Kačna jama (Schlangenschlund) in Slowenien.
Vor einem knappen halben Jahr begannen die Vorbereitungen mit einem Missverständnis.
Ich hatte ein wenig über Höhlen in Slowenien recherchiert. Dabei tauchte auch recht schnell der Name Kačna jama auf. Jedoch Berichte wie z. B. dieser mit dem Titel:"13 Stunden Angst" /1/ 
Sagten mir: Das ist eine Sache, die übersteigt klar unseren Horizont.
Peter sah die Slowenienliste und den Namen Kačna jama und war sofort Feuer und Flamme. So war das nicht gewollt. Aber das Projekt war geboren.

Die Herausforderung beim Schlangenschlund ist der Einstieg bzw. Ausstieg, denn es gibt keine weiteren Eingänge. Die Höhle öffnet sich mit einem etwa 180 m tiefen Doppelschacht. 180 m das ist fast genau die Höhe des Restaurants im Münchener Olympiaturm.

(https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/6/6b/Olympiaturm%2C_M%C3%BAnich%2C_Alemania_2012-04-28%2C_DD_20.JPG/296px-Olympiaturm%2C_M%C3%BAnich%2C_Alemania_2012-04-28%2C_DD_20.JPG)

Der westliche Schacht öffnet sich als riesiger Trichter und ist nur mit vielen Umsteigstellen zu bezwingen (siehe "13 Stunden Angst"). Das ist die übliche Route, die von den meisten Expeditionen gegangen wird.
Der östliche Schacht ist schmaler und führt direkt senkrecht nach unten.

Vom Aufwand her erschien uns der Direktschacht "einfacher". Aber warum gehen alle über den westlichen Schacht? Diese und andere Fragen harrten auf Antwort. Zusätzlich musste die Technik für einen so langen Ab- und Aufstieg eingestellt und erprobt werden.
Bei unserer Vorbereitungsmission dann, hing ich wie ein Schluck Wasser mit weichen Knien in der Sicherung am Schachtrand und schaute wie das Kaninchen auf die Schlange in den Abgrund.                                 
Wir entschieden uns letztlich nebeneiander an zwei Seilen direkt ab und aufzusteigen, nach dem Abstieg unten zu biwakieren, einen Tag Höhle machen, wieder biwakieren und am letzten Tag "nur" den Aufstieg zu machen - eine guter Plan.

Himmelfahrt war nicht als Titel für unsere Mission gedacht aber es war der erste machbare Termin.
Früh in München gab's noch eine Verzögerung mit dem Wagen. Der BMW-Notdienst kam sofort und dann ging's los.

Ein mentaler Test für mich war der Einbau der Verlängerung einer Sicherung auf der Steinbrücke zwischen den Abgründen. Und es ging was - alles wird gut.
Der Einbau des Materials lief dann wie am "Schnürchen" auch durch Peters Rollentechnik für die Seile.
Und endlich kam der Abstieg. Wie geplant zu zweit und nebeneinander.
Unwirklich schwebten wir über diesem unvorstellbaren Abgrund. Nochmal und nochmal das Seil übers Rack werfen und Fotos machen.

(http://g2.img-dpreview.com/6BEFAD24C9BE4B8CBAC0BD15C105EF00.jpg)

Neben uns öffnete sich der riesige Durchbruch zum Nachbarschacht. Der Blick geht zurück zu den Tagöffnungen wie ein Abschied.
 
(http://g1.img-dpreview.com/43C3E18236B94BAF88B669D62614E3A2.jpg)

Die Fahrt geht tiefer und tiefer der Schacht bleibt bodenlos. Das Rack wird warm. Zur Kühlung ab und zu mit dem Handschuh etwas Feuchtigkeit vom Fels übers Rack streichen. Die Spots der Lampen enden im nichts. Langsam umfängt uns die Dunkelheit der Tiefe. Unten Finsternis.
Fast am Ende vielleicht auf den letzten 50 Metern tauchen, wie durch einen Nebel, die Strahlen der Lampen auf den Boden.
Durch das Sitzen im Gurt sind meine Beine eingeschlafen. Ich lande im Schuttkegel auf den Knien. Die Uhr zeigt Minus 178.

Irgendwann hatten wir dann unser Biwak eingerichtet. Peters alter Gaskocher versagte und lief unter zischendem Geräusch aus. Also wurde die Linsensuppe über Teelichtern warm gemacht. Unten hat es knapp 6 °C und vielleicht 100% Luftfeuchtigkeit. Die Suppe tat gut. Und dann war noch Zeit für ein bischen Rotkäppchenwerbung:

(http://g2.img-dpreview.com/EE0A149F53014C759871B46F71175A0F.jpg)

Im Schlafsack war es kühl aber nicht so kalt, um wesentlich Energie zu verlieren.
Am morgen gab es dann Nesskaffee und Marmorkuchen.

Dann wurden nochmal die Pläne angeschaut /2/. Ich hatte schon vorher versucht Peters Ehrgeiz etwas zu bremsen. Und jetzt mit dem Aufstieg im Hinterkopf war es nicht anders. Als Tagesziel wurde der Škocjanski Kanal ausgegeben. Das ist ein langer Wasserlauf auf dem man sogar Schlauchboot fahren kann.
Nach dem Aufbruch wandelten wir durch die beeindruckenden riesigen Gänge und Räume im oberen Teil der Kačna jama. In diese Säle passt bequem macher Häuserblock. Teilweise öffnen sich die Decken noch weiter zu gewaltigen Schloten. Neben uns beeindruckende Tropfsteinmonumente oder märchenhafte Tropfsteine mit Kristallen.

(http://g4.img-dpreview.com/E06CD1C016494727B5E566AD84482468.jpg)

Der Weg wurde schwerer. Es kamen bald glitschige Abhänge und Traversen, die zum Glück von vorhergehenden Expeditionen ausgebaut waren, aber trotzdem die ganze Konzentration forderten. Zuletzt haben wir uns noch durch einen zauberhaft mit Tropfsteinen dekorierten Schacht knapp 30 Meter abgeseilt.

(http://g4.img-dpreview.com/5DE72CF81ABC46AC9B9D55AEAC1CDE7E.jpg)

Aber dann war die Zeit für den Rückweg gekommen etwa 200 Meter vom Tagesziel entfernt. Zeit zum Abschied nehmen.

(http://g3.img-dpreview.com/DFBAE84AE4A346509B3252B0A48C1563.jpg)

In der folgenden Nacht hab ich mir noch die Rettungsdecke auf den Schlafsack gelegt um Energie zu sparen.
Beim Kaffee am morgen konnte ich einfach nichts essen. Zuviel Anspannung? Egal ich zwang mir eine halbe Semmel rein. Kurz vor dem eigentlichen Aufstieg nochmal eine halbe Semmel. Die Spannung stieg.

Die Uhr genullt und los ging's. Langsam den Rhythmus finden. Die Uhr zeigt nur 7 Meter - weitermachen. Drei Züge kurze Pause - weitermachen. Die Pausen wurden mechanisch kürzer - weitermachen. "Peter ich bin jetzt fast bei einem Drittel." Der war sauer, dachte er wär schon viel höher. Dann wieder Pause. Die Gedanken fliegen davon - weit weit weg - weitermachen. Halben Schokoriegel reingestopft - weitermachen. Doch es geht voran. Vorbei am riesigen Durchbruch zum Nachbarschacht. Nach knapp drei Stunden klickt der Karabiner in die Sicherung - geschafft - besser als gedacht.
Letztlich saßen wir dann erst recht spät in Triest in der Abendsonne in unserer geliebten Bar Espresso.
Peter sagte irgendwann: "Die Kačna jama ist eine Höhle, die man einmal macht." Ja, vielleicht - schau´n mer mal.

Ciao Jens
 

links:

/1/
http://www.caveseekers.com/caves/Kacna_Jama/3/mission.html

/2/
http://www.divaska-jama.info/old/Kacna/nacrt_kacna.htm


weitere Bilder:
http://www.dpreview.com/galleries/0516819303/albums/ka-na-jama
Titel: Re: Minus 178 Meter
Beitrag von: Doc am 17. Mai 2016, 22:36:29
Bereitest dich auf's Sistema Huautla vor  8)
Titel: Re: Minus 178 Meter
Beitrag von: Nessie am 18. Mai 2016, 10:00:23
Hi Doc,

nach dieser Aktion kann schon der Eindruck entstehen, dass wir uns jetzt zu Extremisten entwickeln.
Sowas wie die Huautla könnte man sicher nicht mehr in unserem Stil machen. Wir wollen aber autark bleiben.
Es gibt noch einige tolle Sachen zu sehen, die sind gar nicht so weit weg und für uns Neuland.
Also warum in die Ferne schweifen ...
Aber, vielleicht ist auch mal wieder ein tieferer Schacht dabei.
   
Ciao Jens 
Titel: Re: Minus 178 Meter
Beitrag von: Melli am 19. Mai 2016, 07:11:26
Hey Jens,

wow, klasse - vielen Dank für den tollen Bericht!
Da bekommt man ja schon vom Lesen Gänsehaut!

Wart ihr dann insgesamt 3 Tage "unten" oder?

...werd mich jetzt mal über die weiteren Bilder hermachen :)
Titel: Re: Minus 178 Meter
Beitrag von: Nessie am 19. Mai 2016, 09:41:55
Wart ihr dann insgesamt 3 Tage "unten" oder?

Hi Melli,

wir hatten nur zwei Übernachtungen in Slowenien.
Jeweils unter Tage  ;)

Ciao Jens
Titel: Re: Minus 178 Meter
Beitrag von: Doc am 19. Mai 2016, 12:24:47
Hi Doc,

nach dieser Aktion kann schon der Eindruck entstehen, dass wir uns jetzt zu Extremisten entwickeln.
Sowas wie die Huautla könnte man sicher nicht mehr in unserem Stil machen. Wir wollen aber autark bleiben.
Es gibt noch einige tolle Sachen zu sehen, die sind gar nicht so weit weg und für uns Neuland.
Also warum in die Ferne schweifen ...
Aber, vielleicht ist auch mal wieder ein tieferer Schacht dabei.
   
Ciao Jens

Da kann man dann aber unten auch Tauchen :)
Titel: Re: Minus 178 Meter
Beitrag von: Nessie am 19. Mai 2016, 13:20:54
Da kann man dann aber unten auch Tauchen :)

Naja, das geht auch schon in der Rastgrabenhöhle.
http://www.catfish-divers.eu/index.php/topic,3374.msg37522.html#msg37522
Wäre nicht ganz so weit weg.  ;)
Und natürlich brauchte ich auch dafür ein paar "leidensfähige Volontäre", die mir die Ausrüstung bis zum Schlamm schleppen.  :-\

Ciao Jens